Legendarium
Als Legendarium bezeichnete J. R. R. Tolkien die Gesamtheit seiner Geschichten über Ea und Arda. Die wichtigsten Geschichten dieser Mythologie wurden veröffentlicht in Der Hobbit, Der Herr der Ringe, Das Silmarillion und Die Kinder Húrins.
Beschreibung
Das Legendarium umfasst Geschichten aus den ersten vier Zeitaltern, außerdem einen Schöpfungsbericht der Entstehung Eas und Berichte von Ereignissen vor dem Beginn der Zeitrechnung. Zum Legendarium zählen damit:[1]
- die Ainulindale und die Valaquenta, die die Erschaffung der Welt durch Eru beschreiben,
- die Quenta Silmarillion, die Geschichte des Juwelenkriegs im Ersten Zeitalter, sowie damit verbunden
- das Leithian-Lied über Beren und Lúthien,
- Der Fall von Gondolin und
- die Narn i Hín Húrin über Túrin Turambar und Nienor,
- die Akallabêth, der Untergang von Númenor im Zweiten Zeitalter,
- Der Hobbit und Der Herr der Ringe, die Geschichte des Ringkrieges im Dritten Zeitalter, sowie
- Die Abenteuer des Tom Bombadil, eine Sammlung von den Hobbits Bilbo Beutlin und Samweis Gamdschie verfasster und zusammengestellter Gedichte.
Überlieferung
Tolkien hat andeutungsweise eine komplexe Überlieferungsgeschichte der von ihm „ausgewählten“, „übersetzten“ und veröffentlichten Geschichten erdacht. Die Quellen seiner Veröffentlichungen seien Bücher aus den Bibliotheken des Auenlandes in Untertürmen, Groß-Smials und im Brandygut.
Die Hauptquelle sei jedoch das Rote Buch der Westmark, das im Wesentlichen das Material für den Hobbit, den Herrn der Ringe und Die Abenteuer des Tom Bombadil liefere. Erhalten sei das Rote Buch nur noch in einer Kopie des Buches des Thains, die im Auenland überdauert habe.[2]
Für die posthum von Christopher Tolkien veröffentlichten Bücher, Das Silmarillion und Die Kinder Húrins, ist keine Überlieferungsgeschichte erhalten, allerdings wird angenommen, dass sie den Übersetzungen aus dem Elbischen von Bilbo Beutlin entstammen, die ebenfalls im Roten Buch und im Buch des Thains enthalten sind.[3]
Werkgeschichte
Der Beginn der Entstehung des Legendariums – zumindest in schriftlicher Form – ist im Jahr 1914 anzusiedeln, als Tolkien 22 Jahre alt war. Die Entwicklung der Geschichten riss erst 1973 mit dem Tod Tolkiens ab.
Aus dem Jahr 1914 sind Gedichte über Earendel erhalten, die die ersten Grundzüge der Geschichte von Earendil enthalten, sowie eine Umarbeitung der tragischen Geschichte von Kullervo aus dem Kalevala, die als Vorläufer der Geschichte der Kinder Húrins gelten kann.
Sein endgültiges entrée in die Sagenwelt Eas feierte Tolkien mit der Niederschrift von Der Fall von Gondolin, vermutlich früh im Jahr 1917. In den folgenden Jahren brachte er Das Buch der Verschollenen Geschichten in die Nähe der Vollendung, womit die Geschichten der später so genannten Altvorderenzeit in allen wesentlichen Grundzügen vorlagen. Die Verschollenen Geschichten gab er jedoch zu Gunsten des Stabreimgedichtes The Children of Húrin auf. Auch dieses ließ er unvollendet und begann 1925 das Leithian-Lied, das er wiederum 1931 aufgab.[4]
1926 schrieb Tolkien eine „Kurzfassung“ der Verschollenen Geschichten, die er bis 1930 zur Quenta Noldorinwa ausbaute – der längsten vollständigen Fassung und dem Grundstein des Silmarillions. Die Quenta Noldorinwa erweiterte er zur Quenta Silmarillion, bis er 1937 diese Arbeit unterbrach.[4]
In diesem Jahr erschien Der Hobbit, der in den Jahren 1930 – 1932 entstanden war. Unverzüglich, im Herbst 1937, begann Tolkien sein magnum opus, den Herrn der Ringe, als Fortsetzung des Hobbit zu schreiben – und brachte ihn 1949 in eine endgültige Form.[5]
Nachdem Tolkien 1951 ausführliche Prosafassungen der Geschichte von Beren und Lúthien und der Geschichte Von Tuor und dem Fall von Gondolin als Fragmente liegen ließ, begann er die lange Prosafassung der Kinder Húrins und brachte sie beinahe zum Abschluss.[4]
Kanon
Aus der oben dargestellten Werkgeschichte resultiert oft eine enorme Vielfalt an Texten, die zwar dasselbe Thema behandeln, sich aber in Stil, Aufbau oder Form stark unterscheiden, oder gar sich widersprechende Darstellungen eines einzigen Sachverhaltes beinhalten. In vielen Fragen ist keine endgültige Antwort des Autors bekannt.
Leser versuchen, diese verwirrende Vielfalt zu ordnen und in kanonische und nicht-kanonische Schriften einzuteilen, wobei nur Der Herr der Ringe einschließlich der Anhänge unbestritten als kanonisch gilt. Extrempositionen in diesem Meinungsspektrum sind etwa die Ansicht, Der Hobbit gehöre nicht zum Legendarium – oder das Gegenteil, auch unstimmige und mit inneren Widersprüchen behaftete Textgruppen seien völlig „gültig“, solange sie nur von Tolkien selbst verfasst wurden. Die Vielfalt der Ansichten über diesen Kanon ist nicht geringer als die textuelle Vielfalt.
Weitere Brisanz bringt The History of Middle-earth mit sich, in der Christopher Tolkien beispielsweise auf die Punkte hinweist, in denen die veröffentlichten Texte wahrscheinlich nicht den Intentionen des Autors entsprechen. Auch ermöglicht er mit dieser Editionsreihe das kritische Hinterfragen seiner Textausgaben, besonders des Silmarillion. Hier sind vor allem die frühsten Fassungen (Das Buch der Verschollenen Geschichten) und die als Myths transformed veröffentlichten Texte in Morgoth’s Ring von besonderer Bedeutung. Auch die nach Der Herr der Ringe verfassten und in Natur und Wesen von Mittelerde veröffentlichten Manuskripte werfen einen neuen Blick auf die "wahre" Geschichte hinter dem Legendarium (siehe Runde Welt).
Wie der Begriff Legendarium jedoch schon andeutet, wollte Tolkien keine alternative Geschichtsschreibung, sondern eine Mythologie schaffen. Er verstand die verschiedenen Fassungen des Legendariums daher nicht als richtig oder falsch, sondern als mehr oder weniger wahrscheinliche Mythen von Elben und Menschen.
Quellen
- ↑ J. R. R. Tolkien: Briefe. Herausgegeben von Humphrey Carpenter. Nr. 131 an Milton Waldman, 1951
- ↑ J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Prolog. Anmerkungen zu den Aufzeichnungen vom Auenland
- ↑ J. R. R. Tolkien: Das Buch der Verschollenen Geschichten Teil 1. Herausgegeben von Christopher Tolkien. Übersetzt von Hans J. Schütz. Klett-Cotta, Stuttgart 1999. (Im Original erschienen 1983 unter dem Titel The Book Of Lost Tales. Part One.). Vorwort
- ↑ 4,0 4,1 4,2 J. R. R. Tolkien: Die Kinder Húrins. Herausgegeben von Christopher Tolkien. Anhang Die Entwicklung der großen Geschichten
- ↑ J. R. R. Tolkien: The History of The Hobbit. Herausgegeben von John D. Rateliff. Introduction (i) Chronology of Composition
